Groß Laasch - Eine Weihnachtsgeschichte von Grete Schicke
Ein freudiger Heiligabend
Das alte Mütterchen Lina holte ihren schon abgegriffenen Jahreskalender hervor, wie an jeden Morgen. Nahm ihn in die Hand und stellte fest, dass er den 24. Dezember zeigte. Sie wollte es sich heute am ‘ Heilig Abend’ besonders gemütlich machen. Musste deshalb noch einmal in den Wald gehen, um für den guten alten Kachelofen, der schon jahrelang in der Stube stand, ein paar trockene Zweige zu sammeln; damit die kleine Stube heute eine mollige
Wärme bekommt. Holte schon aus der Speisekammer rotbackige Äpfel hervor, die später in der Ofenröhre zu Bratäpfeln werden sollten. Mit dem Apfelduft und der Wärme wird es sicher ein schöner Tag. Sie nahm ihr braunes Leinentuch vom Haken, welches viele Jahre als Holzsammeltuch diente und schon überall geflickt war. Zog sich warm an und stapfte durch den hohen Schnee in den Wald hinein. Jetzt erst bemerkte sie, dass es die letzten Stunden tüchtig geschneit hatte. Dadurch wurde das Holzsammeln erschwert, denn sie musste sich oft und lange bücken, um einen trockenen Ast aus dem Schnee zu holen. Zehn kleine Äste waren übereinander gestapelt und diese verknotete sie in das Leinentuch fest zusammen. Mit einem Schwung sollte das Holzbündel über ihre Schulter gehoben werden.
Doch plötzlich erklang eine tiefe Männerstimme. Sie war derart darüber erschrocken, dass das gebündelte Holz in den Schnee zurück rutsche. Es war Förster Hinz, der in dem Wald neben ihr stand. Er wollte vor den Weihnachtsfeiertagen noch einmal in seinem Revier zum Rechten schauen. Mit einem Lächeln im Gesicht und freundlichen Augen reichte er der alten Frau die
Hand zum Gruß und bot dem Mütterchen an, dass er die Holzlast zu ihrem Häuschen tragen wird.
Eine so freundliche Geste hatte das betagte Mütterchen lange nicht mehr erlebt. Der Förster erzählte der Frau auf dem Heimweg von seiner Arbeit, den Tieren, vom Schneewetter und dass er seit einigen Jahren in dem Revier tätig sei.
Mütterchen Lina hörte sehr aufmerksam zu was er ihr berichtete, und staunte über den gut gekleideten Mann mit dem Försterhut, wo unter dem Ripsband einige Federn als Schmuck Halt fanden.
Vor dem Häuschen angekommen, trug der Förster das Holzbündel bis in den Vorraum, reichte der Frau zum Abschied seine Hand und meinte, dass sie sich bestimmt irgendwann im Wald wieder treffen werden.
Schneller als gewohnt trat der Förster seinen Heimweg an. Berichtete seiner Frau von der Begegnung mit dem betagten Mütterchen, die sich in der Kälte zehn Hölzer sammelte, um am Heiligen Abend eine schöne warme Stube zu haben.
Ohne viele Worte war sich das Ehepaar einig, dass die alte Frau den heutigen Abend im Forsthaus verbringen soll. Die zwei erwachsenen Kinder, Beate und Jürgen, wollten auch kommen und somit würde das Festessen auch für eine fünfte Person reichen, was Frau Hinz schon für ihre Lieben vorbereitete.
Um siebzehn Uhr spannte Förster Hinz sein Pferd vor dem Schlitten und fuhr damit außerhalb des Ortes in Richtung zum kleinen Häuschen der alten Frau.
Der Förster schaute durch das vereiste Küchenfenster, wo nur ein kleines abgetautes Loch den Blick frei gab und sah das Mütterchen im Schein des Holzfeuers, welches der alte Eisenherd ausstrahlte. Er klopfte an, bat um Einlass und betrat die Küche. Hatte aber vorher seine Stiefel sehr sorgfältig abgeputzt, damit sich in dem warmen Raum vom aufgetauten Schnee keine
Wasserpfützen bildeten.
Die Frau war beim Anklopfen zuvor erschrocken, erkannte aber sofort das freundliche Gesicht vom Förster Hinz. Er brauchte viel Mühe und Überredungskunst die Frau von seinem Vorhaben zu überzeugen, um sie dann auch noch gleichzeitig zum Mitfahren zu bewegen.
Weil der Förster ein lieber netter Mensch war, schlüpfte sie in ihre Stiefel, zog den schwarzen Lodenmantel an und versteckte ihre zum Knoten gebundenen Haare unter ein Kopftuch.
Wie mit seiner Frau verabredet, fuhr das Schlittengespann des Försters und sein Gast gleich zur Kirche. Das alte Mütterchen sagte kein Wort, ließ alles mit sich geschehen, wie der Mann an ihrer Seite es wollte. Still und andächtig betraten beide die Kirche und setzten sich zu Frau Hinz, die zwei Plätze in der dritten Reihe freihielt. Ruhig und ohne ein Wort zu sagen, saß Mütterchen Lina mit gefalteten Händen neben dem Förster und seiner Frau, überwältigt von der zauberhaften Kirchenausstattung zum Fest. Nur die Hälfte kam an ihr Ohr von des Pastors Predigt, denn sie konnte sich nicht satt sehen. Nach der Predigt führten die Kinder ein Krippenspiel auf. Von der Darbietung war die Frau so sehr gerührt, dass ihre Augen sich mit ein paar kleinen Tränen füllten.
Die Zeit war mit all den Vorträgen schnell vergangen. Während die Orgel das Schlußlied spielte, hakte das Försterehepaar die alte Frau von beiden Seiten ein, führten sie zum Schlitten und fuhren zum Forsthaus.
Ein weiter Lichtschein vom Forsthausfenster ließ den Schnee wie Tausende Kristalle glitzern. Beate und Jürgen waren früher als angesagt mit dem Auto angekommen und hatten den Tisch festlich mit dem Essen gedeckt, was ihre Mutter schon liebevoll vorbereitet hatte. Lautlos wurde ein weiteres Gedeck dazu gestellt. So saßen sie an diesem Heiligen Abend’ zu fünft an dem feierlichen Tisch. Danach wurden die Kerzen an dem bunt geschmückten Baum angezündet, den der Förster unter den vielen Tannen in seinem Wald ausgesucht hatte. Zwischenzeitlich beeilte Beate sich schnell mit dem Einpacken ihres neuen Schultertuches, was sie für sich gekauft und mitgebracht hatte und wickelte es in feines blankes Geschenkpapier zum Päckchen. Schmückte es mit einer roten Schleife und steckte noch einen Tannenzweig dazu.
Bei der Bescherung überreichte sie es der alten Dame. Die nahm mit leuchtenden großen Augen das Geschenk entgegen. Hielt es wie eine Kostbarkeit auf ihrem Schoß und öffnete es mit zittrigen Händen.
Wickelte vorsichtig das Papier auseinander und zum Vorschein kam ein wunderhübsches blaugemustertes Schulterwolltuch. Sie berührte das weiche Gewebe und ließ die Fransen über ihre rauen Hände gleiten. Freute sich und staunte über das überaus teure Geschenk.
Nach der Bescherung sangen alle zusammen Weihnachtslieder. Das Lied „ Stille Nacht ..“ entlockte dem Mütterchen einen lieblichen Klang, als ob vom Himmel die Engel singen und die Försterfamilie hielt inne um den Klang dieser schönen Stimme zu lauschen.
Zur späten Abendstunde, die Uhr zeigte zehn, verabschieden sich alle herzlich. Der Förster fuhr das Mütterchen Lina im Schlitten durch die stimmungsvolle Nachtlandschaft zu ihrem Haus zurück. Die angebrachte Lampe am Schlitten gab dafür den Schein, um den Weg zu finden. Bei der Verabschiedung hielt sie lange die Hände des Försters fest und sagte immer wieder ein herzliches Dankeschön für die schönen Stunden.
Hernach saß die alte Frau schweigend und verträumt auf einem ihrer Holzstühle und dachte über den ungewöhnlichen Tag und Abend nach und erblickte plötzlich auf dem Küchentisch einen Korb, der beim Öffnen der Tür nicht dort stand. Den musste der Förster blitzschnell abgestellt haben. Er ist gefüllt mit nützlichen und leckeren Sachen. So viel Freude an einem einzigen Tag war für die alte Frau wie in einem Märchen.
Bevor sich Mütterchen Lina zur Ruhe legte, faltete sie ihre abgearbeiteten Hände, hörte von weit her den Klang der Kirchenglocken, die für den Nachtkirchengang riefen und sprach das „Vater unser .... „ . Bedankte sich gleichzeitig für den überaus wunderschönen und freudigen ‘Heiligen Abend’ und schlief glücklich und zufrieden über den erlebnisvollen Tag ein.
Geschichte von Grete Schick, Freden/Leine
Bild zur Meldung: Scherenschnitt von Grete Schicke